Letztes Mal in der kleinen Philosophie der Freiheit habe ich mit Schopenhauer drei Arten von Freiheit kennengelernt: Physische, intellektuelle und moralische Freiheit. Jede dieser Freiheiten zeichnet sich durch die Abwesenheit von spezifischen Hindernissen aus. Die Hindernisse der moralischen Freiheit nannte Schopenhauer „Motive“. Motive beeinflussen unseren Willen. Nur ein unbeeinflusster Wille ist daher ein freier Wille. Diese Feststellung gipfelte in der Frage: „Kannst du wollen, was du willst?“

Das Problem mit der Willensfreiheit

„Was für eine blöde Frage“, sagt Schopenhauer und wischt sich einige Kuchenkrümel vom Kinn.
„Aber du hast sie doch selbst gestellt“, wende ich ein. Schopenhauer ignoriert mich und fährt fort.
„Das klingt so, als ob das Wollen noch von einem anderen, hinter ihm liegenden Wollen abhinge. Aber wenn es ein solches hinterliegendes Wollen gäbe, stellte sich natürlich sofort die Frage, ob man dieses auch wollen kann. ‚Kannst du auch wollen, was du wollen willst?‘, würde man fragen. Und wenn man das bejaht, dann klingt das so, als ob es noch ein hinter- hinterliegendes Wollen gäbe. Das man auch hinterfragen könnte. Und so ginge es dann weiter bis in alle Ewigkeit, indem wir immer ein Wollen von einem früheren, oder tiefer liegenden, abhängig dächten, und vergeblich strebten, auf diesem Wege zuletzt eines zu erreichen, welches wir als von gar nichts abhängig denken und annehmen müssten.“
Beeindruckt davon, dass er diesen Satz sagen konnte, ohne Luft zu holen, höre ich dem Philosophen weiter zu.
„Wollten wir aber ein solches unabhängiges Wollen annehmen; so könnten wir eben so gut das erste, als das beliebig letzte dazu nehmen, wodurch denn aber die Frage auf die ganze einfache: ‚Kannst du wollen?‘ zurückgeführt würde. Ob aber die bloße Bejahung dieser Frage die Freiheit des Wollens entscheidet, ist was man wissen wollte, und bleibt unerledigt.“
„Hä?“, mache ich. Jetzt hat er mich doch abgehängt.
„In einfachen Worten: Die Frage, ob der Wille des Menschen frei ist oder nicht, lässt sich auf diesem Wege nicht klären“, seufzt Schopenhauer.
„Moment“, hake ich ein. „Wir fragen uns, ob der Wille des Menschen frei ist oder nicht?“
„Ja. Darum geht es doch in deinem Blog-Artikel!“
„Äh… ja? Ich dachte, es geht um Freiheit allgemein und so…“
„Nein, aber Freiheit allgemein ist ein gutes Stichwort“, stimmt mir Schopenhauer zufrieden zu.

Freiheit allgemein und so

„Wenn wir die Frage klären wollen, ob der Wille frei ist, müssen wir den Begriff der Freiheit modifizieren und etwas abstrakter fassen.“
„Nochmal, ich wusste gar nicht, dass es hier eigentlich um Willensfreiheit geht. Und wieso müssen wir sie plötzlich abstrakter fassen? Du hast doch angefangen mit der Aufteilung in physische, intellektuelle und mora-“
„Jetzt hegel mich mal nicht so blöd an, Florian.“
„Hegel?“
„Ja, Hegel“, zischt Schopenhauer, während eine Ader auf seiner Stirn pocht.
„Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770-1831), der an der selben Uni wie du lehrte und dessen Vorlesungen immer gut besucht waren, während deine eigenen leer blieben?“
„Genau der!“, donnert Schopenhauer

Friedrich Hegel

„Diesem Hegel geht, meiner Überzeugung nach, nicht nur alles Verdienst um die Philosophie ab; sondern er hat auf dieselbe, und dadurch auf die Deutsche Literatur überhaupt, einen höchst verderblichen, recht eigentlich verdummenden, man könnte sagen pestilenzalischen Einfluss gehabt, welchem daher, bei jeder Gelegenheit, auf das nachdrücklichste entgegenzuwirken, die Pflicht jedes selbst zu denken und selbst zu urteilen Fähigen ist.“
„Wirklich bei jeder Gelegenheit? Wir wollten doch gerade über Freiheit spre-“
„Jawohl. Denn wenn selbst DU dir erlaubst, jenen Mann zu schmähen, der redlich und unerschrocken-“
„Meinst du dich selbst?“, versuche ich, Schopenhauer Einhalt zu gebieten. Sein wütender Blick lässt mich verstummen. Der Philosoph setzt neu an: „Wenn selbst DU dir erlaubst, jenen Mann zu schmähen, der redlich und unerschrocken dem falschen, erschlichenen, gekauften und zusammengelogenen Ruhm des Hegels mit dem Nachdruck sich entgegensetzt, der allein ihm angemessen ist, so wird die Sache ernsthaft! Denn so könnte der unkundige Leser deines Blog-Artikels zu großem und schädlichem Irrtum verleitet werden.“
„Achso?“
„Jawohl! Dieser Irrtum muss daher NEUTRALISIERT werden. Wenn ich nun zu diesem Zwecke sage, die sogenannte Philosophie dieses Hegels sei eine kolossale Mystifikation, welche noch der Nachwelt das unerschöpfliche Thema des Spottes über unsere Zeit liefern wird, eine alle Geisteskräfte lähmende, alles wirkliche Denken erstickende und, mittelst des frevelhaftesten Missbrauchs der Sprache, an dessen Stelle den hohlsten, sinnleersten, gedankenlosesten, mithin, wie der Erfolg bestätigt, verdummendsten Wortkram setzende Pseudophilosophie, welche durch nichts bewiesen wird, noch selbst irgendetwas beweist oder erklärt, so würde ich recht behalten.“
„Okay, ich hab’s verstanden. Du magst Hegel nicht. Können wir jetzt bitte weitermachen?“, frage ich, aber Schopenhauer hört mich nicht.
„Wenn ich ferner sage, Hegel habe Unsinn geschmiert wie kein Sterblicher je vor ihm, so dass, wer sein gerpriesenstes Werk, die sogenannte ‚Phänomenologie des Geistes‘, lesen könne, ohne dass ihm dabei zu Mute würde, als wäre er im Tollhause, hinein gehöre; so würde ich nicht minder recht haben!“
Heftig atmend greift Schopenhauer zu einem Glas Wasser. Er scheint fertig zu sein. Ich bin beeindruckt von seiner Wortgewalt. So möchte ich auch mal schimpfen können. Trotzdem hat mich dieser Wutanfall irritiert. Ist Schopenhauer ein Choleriker?
Nach einigen Atemzügen beginnt der Philosoph mit ruhigerem Tonfall, seinen verlorenen Faden wieder aufzugreifen, als wäre nichts gewesen.
„Wenn wir nun die Frage klären wollen, ob der Wille frei ist, müssen wir den Begriff der Freiheit modifizieren und etwas abstrakter fassen.“
Aber das machen wir erst beim nächsten Mal.