Kleine Philosophie der Freiheit (Teil I)
Nicht nur die freedom manufaktur beschäftigt sich mit Freiheit. Auch in der Philosophie zerbricht man sich seit jeher den Kopf über diesen Begriff. Einer der zerbrochendsten Köpfe gehört dem Philosophen Arthur Schopenhauer (1788-1860). Mich hat der Scharfsinn dieses unglaublich klugen (aber leider äußerst verbitterten) Mannes sehr beeindruckt. Deshalb werde ich Dir einen Einblick geben in Schopenhauers Philosophie der Freiheit.
Die Freiheit bei Schopenhauer
Schopenhauer beschreibt die Freiheit als einen negativen Begriff. Typisch für den griesgrämigen alten Mann, könnte man denken. Aber er will damit nicht überhaupt sagen, dass die Freiheit etwas Schlechtes ist. Er meint vielmehr, dass zur Freiheit immer dazugehört, von etwas frei zu sein. Frei von Hindernissen und Einschränkungen. Schopenhauer findet drei mögliche Arten von solchen Hindernissen. Daher unterscheidet er auch drei Arten von Freiheit: Physische Freiheit, intellektuelle Freiheit und moralische Freiheit.
Physische Freiheit
Physisch frei sind wir, wenn uns kein materielles Hindernis davon abhält, unseren Willen auszuüben. Solche Hindernisse können Fesseln, Wände oder verschlossene Türen sein. Aber auch körperliche Zustände, wie zum Beispiel Lähmungen, zählen dazu.
Auf den Punkt gebracht: Wenn wir tun können, was wir wollen, dann sind wir physisch frei.
Intellektuelle Freiheit
Über intellektuelle Freiheit verfügen wir dann, wenn nichts unseren Intellekt einschränkt. Alles, was unseren Verstand trübt, steht dieser Freiheit entgegen: Seien es Drogen, Alkohol, Krankheiten wie Demenz oder psychische Störungen, oder auch einfach nur Schlaftrunkenheit.
Auf den Punkt gebracht: Bevor ich morgens meinen ersten Kaffee hatte, bin ich intellektuell unfrei.
Moralische Freiheit
„Gib mir den Kaffee, sonst greift deine Zahnbürste morgen ins Leere!“
Erfolgreiche Drohungen machen moralisch unfrei. Denn wenn wir einer Drohung gehorchen, tun wir nicht das, was wir tun wollen. Obwohl wir eigentlich physisch und intellektuell dazu in der Lage wären.
Nicht nur Drohungen schränken unsere moralische Freiheit ein. Auch Versprechungen oder Gefahren können dazuzählen. Jeder nicht-physische Grund, der uns davon abhält, unseren Willen durchzusetzen, ist ein Hindernis für unsere moralische Freiheit. Einen solchen Grund nennt Schopenhauer auch ein Motiv. (Sein Motiv dafür, diese Freiheit ausgerechnet „moralisch“ zu nennen, kenne ich übrigens nicht…)
tl;dr: Wenn wir nicht das tun, was wir eigentlich tun wollen, obwohl wir physisch und intellektuell dazu in der Lage wären, dann sind wir moralisch unfrei.
Moment mal!
Gegen mein tl;dr der moralischen Freiheit hätte Schopenhauer sicherlich Einwände. Er würde zu mir sagen: „Es ist irreführend, zu sagen, dass die Motive dafür sorgen, dass wir nicht das tun, was wir eigentlich tun wollen. Jetzt denke das mal zuende, Florian! Wenn du etwas tust, dann willst du das auch. Solches Tun ist nämlich immer das Ergebnis einer willentlichen Entscheidung. Natürlich gibt es Handlungen, die unwillkürlich sind: Epileptische Anfälle, Zwangshandlungen wie sie etwa das Tourette-Syndrom hervorruft, unerwünschte Erektionen am Badestrand… das sind nur einige Beispiele. Aber in all diesen Fällen bist du physisch oder intellektuell unfrei. Wenn du aber in diesen Hinsichten frei bist, dann heißt das, dass immer dein Wille bestimmt, was du tust.“
„Ich habe keine Ahnung, worauf du damit hinaus willst, Schopi“, würde ich darauf antworten.
„Nenn mich nie wieder Schopi“, würde Schopi sagen, und dann fortfahren:
„Ich will auf folgendes hinaus: Die Hindernisse der moralischen Freiheit, die Motive, halten dich nicht davon ab, deinen Willen durchzusetzen. Nein, sie beeinflussen deinen Willen! Motive. Beeinflussen. Willen.
Hier siehst du das nochmal deutlicher: Ich will eigentlich Kuchen essen, aber ich habe Angst, dick zu werden, deshalb esse ich keinen Kuchen. Das Motiv ist in diesem Fall also meine Angst davor, dick zu werden. Dies führt zu meiner Entscheidung, den Kuchen nicht zu essen. Diese Entscheidung treffe ich nicht, obwohl ich eine andere treffen will. Ich treffe sie, weil ich nicht dick werden will. Das Motiv hat meinen Willen so beeinflusst, dass ich die Entscheidung treffe, die ich treffe.“
„Aber du wolltest eigentlich Kuchen essen. Also hat das Motiv dich davon abgehalten, das zu tun, was du eigentlich tun wolltest.“
„Unsinn! Mein ursprünglicher Wille war, Kuchen zu essen. Dann kam das Motiv. Jetzt ist mein Wille, doch keinen Kuchen zu essen. Das Motiv hat meinen Willen geändert.“
„Aber ich sehe doch, wie neidvoll du auf meinen Kuchen schielst“, sage ich und stecke mir ein Stück davon in den Mund. „Du willft ef alfo doch nicht fo richtig.“
„Willentliche Entscheidungen sind nicht immer Entscheidungen, die wir aus vollem Herzen treffen. Wir können hin- und hergerissen sein. Wir können uns schwer tun. Aber am Ende ist es immer unser Wille, der die Entscheidungen trifft. Und dieser Wille kann von Motiven beeinflusst werden. Also: Motive. Beeinflussen. Willen.“
„Okay“, sage ich, nachdem ich den Kuchen runtergeschluckt habe. „Was heißt das jetzt für die moralische Freiheit?“
„Da ist es ähnlich wie bei der physischen Freiheit: Physische Hindernisse beeinflussen unser Können, nicht unser Wollen. Wenn ich in einer Gefängniszelle stecke, kann ich nicht raus, obwohl ich raus will. Motive hingegen beeinflussen unser Wollen, nicht unser Können. Das Motiv, die Angst vor dem Dickwerden, hat keinen Einfluss darauf, ob ich den Kuchen essen kann oder nicht, sondern darauf, ob ich ihn essen will oder nicht. Wir sind nur dann moralisch frei, wenn unser Wille unbeeinflusst ist.“
„Unbeeinflusst durch Motive“, wende ich ein.
„Genau.“
„Unbeeinflusst durch Motive heißt, keine Motive zu haben. Keine Motive für mein Handeln zu haben, klingt aber so, als würde ich grundlos handeln. Das würde ja bedeuten, ich wäre nur dann frei, wenn ich keinen Grund für mein Handeln hätte.“
„Ganz genau!“ ruft Schopenhauer aus und zeigt mit dem Finger in die Luft. „Hier betreten wir das weite Feld der Frage nach der Willensfreiheit.“
Das weite Feld
„Folgendes liegt doch auf der Hand“, sagt Schopenhauer voller Selbstzufriedenheit. „Nur ein unbeeinflusster Wille ist ein freier Wille. Willensfreiheit bedeutet nicht, tun zu können, was man will. Denn das ist physische Freiheit. Wir sollten lieber fragen: Kannst du auch wollen, was du willst?“
„Jetzt geht mir ein Licht auf“, sage ich. „Das, was du moralische Freiheit nennst, ist eigentlich Willensfreiheit! Aber… warum nennst du das dann nicht so?“
„Genug philosophiert!“, lenkt Schopenhauer ab. „Gib mir jetzt was von dem Kuchen, oder es geschieht ein Unglück. Nächstes Mal erkläre ich dir, warum uns die Frage nach dem Wollen überhaupt nicht weiterbringt.“
Hier geht es zum zweiten Teil der kleinen Philosophie der Freiheit.