Die Australier haben ein Verhältnis zu String-Tangas, das schnell missverstanden werden kann. Anders als im Großteil des übrigen englischsprachigen Raumes bezeichnet in Australien das Wort ‚thong‘ nicht den Tanga, sondern einen speziellen Schuh: Den Flip-Flop. Wenn mir also Ben, der attraktive Australier mit der beruhigendsten Erzählstimme diesseits des indischen Ozeans, mal wieder eine Geschichte über ‚thongs‘ erzählt, weiß ich, dass es nicht um Unterhosen geht, sondern um die Lieblingsfußbekleidung der Australier.
Dieses Wissen nahm ich mit aus meiner Lieblingsveranstaltung in Berlin: The Bear.

The Bear

Ich liebe Geschichten. Und wenn Du gute Geschichten gut erzählen kannst, dann liebe ich auch Dich. (Aber nicht nur dann.)
Leider können nur wenige Menschen gut erzählen. Viele Menschen erzählen zwar gerne und viel, aber eben nicht gut. Nicht so, dass ich es schaffe, sieben Minuten lang zuzuhören, ohne dabei geistig abzudriften und von einem besseren Ort zu träumen, an dem es nur gute Geschichten gibt.
Und das Storytelling Event „The Bear“, das an jedem dritten Freitag im Monat in Berlin-Wedding veranstaltet wird,
ist nicht dieser Ort.

Das hast Du jetzt nicht erwartet, wa? Tja, aber so ist es nun mal.
Meine Güte, habe ich schon schlechte Geschichten gehört bei dieser Veranstaltung. Einige davon waren einfach nur langweilig und ich habe währenddessen vor mich hin geträumt. Andere hingegen waren so furchtbar, dass ich trotzdem fassungslos zuhörte, hypnotisiert von der Katastrophe, die sich da vor meinen Augen abspielte. Mit Gänsehaut erinnere ich mich daran, wie mir ein Deutscher auf schlechtem Englisch davon erzählte, früher im Englisch-Unterricht immer abgeschrieben zu haben. Hätte er da mal ordentlich aufgepasst, wären meine Ohren heute nicht suizidgefährdet. – Und das war noch nichtmal das Schlimmste, was mir bei The Bear zugemutet wurde.
Trotzdem ist das meine Lieblingsveranstaltung. Wieso?
Ganz einfach, weil es zu dieser grandiosen Veranstaltung dazugehört, vorher nicht zu wissen, wie es wird. Es kann mitunter richtig, richtig schlecht werden. Aber wenn es gut wird, dann wird es oft so gut, dass es Dich berauscht, als hättest Du mit Pflanziska einen gesoffen. Ich habe Geschichten gehört, die waren so richtig, richtig, richtig gut. So da-denkst-du-noch-tagelang-dran gut. So ich-hab-Muskelkater-vom-Lachen gut. Oder so gib-mir-mal-ein-Taschentuch-weil-ich-flenne-wie-ein-Baby gut.

Was ist The Bear?

The Bear ist ein Storytelling Event, oder auf Deutsch: Ein Anekdoten-Abend.
Hier trifft es die deutsche Bezeichnung wesentlich besser als die englische, denn eine Story kann alles sein, etwas Ausgedachtes oder etwas Selbsterlebtes. Eine Anekdote hat hingegen immer den Anspruch, wahr zu sein. Und das ist die Kern-Idee von The Bear: Echte Menschen erzählen wahre Geschichten aus ihrem Leben. Ohne Notizen, nicht abgelesen, maximal sieben Minuten lang.
Pro Abend gibt es acht Geschichten. Weniger, wenn sich nicht genug Geschichtenerzähler finden. Wenn sich mehr finden, wird ausgelost, wer nach vorne darf.
Die Anekdoten werden wahlweise auf Deutsch oder Englisch vorgetragen. Der Erzähler entscheidet. Meistens entscheidet er sich für Englisch, denn der Großteil der Erzählenden und der Großteil des Publikums besteht aus englischen Muttersprachlern. – Das ist leider der Haken an dieser Veranstaltung: Wenn Dein Englisch nicht gut genug ist, um Muttersprachlern beim Anekdotenerzählen zuzuhören, dann kann ich Dir The Bear nicht empfehlen. In jedem anderen Fall aber solltest Du unbedingt mal vorbeikommen.

Wie ist The Bear?

The Bear ist so, wie Du es willst. Für mich ist es familiär. Denn ich liebe es, anschließend Kontakt mit den ErzählerInnen aufzunehmen, mich bei ihnen zu bedanken, wenn ihre Geschichten meinen Abend auch nur ein kleines bisschen besser gemacht hätten als er ansonsten gewesen wäre. Ich liebe es, vorne in der ersten Reihe zu sitzen und die Erzählenden hautnah zu erleben*. Dadurch kennen mich inzwischen natürlich auch alle als den Typ aus der ersten Reihe. Aber hey… dafür ist immer ein Platz für mich frei.
Wenn Du es lieber anonymer magst als ich, dann bist Du trotzdem am richtigen Ort. Du kannst Dich auch einfach nur nett unterhalten lassen. Dyane und Michael, zwei der Veranstalter, sind zwar überaus kommunikativ (und herzlich), aber wenn Du Deine Ruhe haben willst, dann wird Dir das gegönnt. Du kannst Dich also auch einfach nur passiv berieseln lassen und still genießen. Du Griesgram!

Erzählst Du auch mal was?

Wenn Du – wie ich – das Angebot annimmst, Dich bei The Bear wie Zuhause zu fühlen (nur mit Hose), dann wirst Du natürlich oft gefragt, ob Du nicht auch mal was erzählst. Für mich hat es zehn Monate gedauert, bis ich mich dazu durchringen konnte. Eines Abends kitzelte das Glas Rotwein, das ich getrunken hatte, meinen Mut, und trieb mich dazu, in der Pause zu Dyane zu gehen und ihr zu sagen, ich hätte da eine Geschichte. Da an diesem Abend ohnehin nur sechs Storyteller bereit waren, dem Publikum ihre Erlebnisse zu schenken, rannte ich bei ihr offene Türen ein.
Da Michael alle Geschichten aufzeichnet, kannst Du Dir mein Debüt sogar angucken.
Leider ist der Anfang abgeschnitten, aber dafür hast Du ja mich. Es ging (ungefähr) folgendermaßen los:
„Ich bin aufgeregt. Denn ich lerne heute zum ersten Mal ihre Eltern kennen. Ich bin 18 und wir sind endlich ein Paar. Ich bin sooo verliebt, aber…“

Das Beste kommt zum Schluss

Mir hat es unfassbar viel Spaß gemacht, mein schlimmes Erlebnis mit der Welt zu teilen. Ich ging im Endorphinrausch von der Bühne, wurde von Dyane empfangen, deren Kajal komplett verlaufen war. (Sie ist die Dame rechts im Video. Ich nehme an, sie hat aus Mitleid geweint.) – Das größte Erfolgserlebnis aber war, dass Ben, der Australier mit dem ‚thong‘, einer meiner beiden Lieblingsstoryteller, im Anschluss auf mich zu kam und mich in den Himmel lobte. Das ging runter wie Butter, denn von einem Profi gepriesen zu werden, ist einfach klasse.
Bens Flip-Flop-Anekdote gibt es übrigens auch online zu sehen. – Und mich dazu, wie immer in der ersten Reihe sitzend. Folge einfach dem Link.

Neugierig geworden?

An jedem dritten Freitag im Monat ab 19:30 Uhr im zweiten Hinterhof der Chauseestr. 86 in 10115 Berlin (zwischen U Reinickendorfer Straße und U Schwartzkopffstraße), kannst Du dabei sein.
Was koscht des? 10€.
Ich empfehle, vorher auf der Website zu reservieren. Es ist nie vorhersehbar, wie voll es wird. Meistens sind noch Plätze da, aber wäre ja blöd, wenn Du wieder gehen müsstest.
Hier gehts zum Internet-Auftritt von The Bear.

 

 


* Okay, die Wahrheit ist: Ich hab schlechte Augen und trage nicht gerne meine Brille. Deshalb sitze ich immer in der ersten Reihe. -_-