Ja, ich war ein Stressie

Wer jemals eine große Abschlussarbeit geschrieben hat, wie ein Diplom, eine Facharbeit oder Ähnliches, der weiß, wovon ich rede. Man hat ja extrem viel Zeit vom Start bis zum fixen Abgabetermin.

Hier beginnt Phase I: Also kann ich mir ja auch die Zeit lassen und es mal ganz gemütlich angehen. Hier mal etwas recherchieren, dort etwas nachlesen, ein paar Informationen zusammentragen. Puh – jetzt erst einmal Pause machen.

Oder etwas ganz Anderes machen. Die Arbeit läuft ja nicht weg und bis zur Abgabe ist es ja noch soooo lange hin. Nach einer gewissen Zeit meldet sich ein gewisser Druck im Bauch oder in der Herzgegend und signalisiert:

„Du, da ist noch der Termin…“. Das ist der Start der Phase II

„Ach ja! Da war ja was“ denkst Du und nimmst Deine Notizen zur Hand und … ja was eigentlich? Erst einmal Struktur reinbringen! Genau – Strukturieren und eine Gliederung erstellen! Aber vorher muss ich noch den Schreibtisch aufräumen, so kann man ja nicht arbeiten. – Puh! Das war anstrengend. Da habe ich mir aber ein Eis verdient und danach… kommt bestimmt noch was dazwischen, solange, bis Phase III sich einstellt.

Wiederum etwas später meldet sich mit mehr Intensität mein Körper und mahnt mich, dass es langsam etwas knapp werden könnte… – Ja ich weiß. Genau jetzt ist es aber ungünstig. Es ist Faschingszeit / Familienbesuch / das Auto ist kaputt / oder sonst irgendwas Vorgeschobenes – da passt das ja gar nicht, schließlich muss das ja passieren. Das geht so lange hin und her, bis es eigentlich nicht mehr geht.

Und dann passiert, was immer passiert: Die Phasen IV-VIII beginnen. Die Tage werden länger und die Nächte kürzer. Und lääänger und krzer. Und läääääääännnngeeeer und kzr. Und lääääääääääääääääääääännngeeeeeeeeeeeeeeeeer und k.

Phase IX: Alles wird „auf den letzten Drücker“ erledigt und nun sind Pannen ja nahezu katastrophal. Kein Papier mehr, Drucker kaputt, Rechner abgestürzt – alles katastrophale Ereignisse, so kurz vor Toresschluss.

Mir ging das so ähnlich und natürlich bin ich für meine Diplomarbeit quasi mit Ladenschluss in den Kopierladen gestürmt, um sie ein paar Mal zu kopieren und Binden zu lassen – und dann ab zur Uni – schnell noch beim Pförtner abgeben. Phase X: Puuuh das war knapp! Aber – hey ich habe es geschafft – Ich bin ein Supertyp!

Dieses Gefühl war unschlagbar – ich habe es getan, geschafft und war stolz – eine fette Serotonin-Dusche durchflutete meinen Körper. Y-E-S!

Kennst Du das? Bist du so? Dann bist du auch ein Stressie!

Stressie: Man wartet mit einer Aufgabe bis es eigentlich zu spät ist und dann klotzt man ran, löscht die Feuer und ist der Held am Ende. Ein echter Hero! Du hast die Kohlen wieder aus dem Feuer gerissen. Hier entstehen die spannenden Geschichten, die Du dann erzählen kannst, wie du es gemeistert hast. Dopamin für das Erreichte und Oxytocin für die Anerkennung deiner Heldentaten durchfluten dich. Das klappt.

Doch dann wurde ich ein „Done Junky“

Irgendwann erkannte ich, dass mir diese Arbeitsweise gesundheitlich nicht nur Gutes zufügte. Zuerst der latente Stress der Phasen I-III, danach der Vollstress bis Phase IX. Diese Stress-Dauerbelastung setzte meinen Körper unter Druck. Und noch etwas passierte in den Phasen I-III: Mein Selbstbewusstsein wurde geringer. Ich belog mich selbst. Das konnte ich dann in den späteren Phasen wieder geradebiegen, aber die Dauer des Selbstbetruges war zeitlich viel länger, als die Zeit des „Ich bekomm es hin“ und hinterließ somit auf lange Sicht mehr EinDRUCK, als mir lieb war.

Nicht nur bei der freedom manufaktur, sondern bereits weit davor erkannte ich die Zusammenhänge und erarbeitete mir eine Strategie für mich, diesen Umständen zu entgehen. Das Prinzip ist eigentlich ganz einfach:

Ich spare mir die Phasen II-IX. (meistens 🙂 )

Gleich von Phase I auf Phase X springen. Das ist das Prinzip. Ganz einfach. Mach das, was zu tun ist. Wichtiges zuerst. Ein altes deutsches Sprichwort sagt: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“ Da ist was dran – allerdings arbeite ich ja nicht mehr, sondern mache nur noch die Dinge, die ich sowieso tun würde. Das ist, was ich euch allen ebenso empfehle.

Und das Beste ist:

  • Es gibt keine Katastrophen mehr, weil genügend Zeit ist
  • Bessere Qualität, weil nicht mit heißer Nadel gestrickt
  • Viel, viel weniger Stress
  • Kein nagendes Selbstwertgefühl
  • Serotonin, vielleicht sogar mehr für den Stolz, Dinge vor der Zeit in hoher Qualität abzuliefern
  • Mehr Dopamin, weil man mehr WICHTIGES fertig stellt
  • Oxytocin, aber nicht ganz so viel. Das heldenhafte entfällt. Die Anerkennung kommt dann eher langfristig, ist dafür aber anhaltender und tiefer

Diese Menge an Endorphinen können mich nun täglich durchströmen und ich benötige nicht die Last der Stresshormone, um dies zu erreichen. Meinem Körper geht es damit wesentlich besser. Meiner Seele auch, weil ich wesentlich mehr erreiche, mein Verstand freut sich über die wechselnden Herausforderungen und meine Freunde erfreuen sich an einem ausgeglichenen Menschen der mehr Zeit für sie hat, weil er nicht getrieben ist.

Es gibt diesen blauen whoosh Buzzer bei uns, der wird gedrückt, wenn jemand etwas geschafft hat und er macht: „didel di dit didiiiit“ Das kann ich gar nicht oft genug hören 🙂 Und wenn mal etwas katastrophal schiefläuft, dann bin ich auch gerne ein Held und lösche die Feuer (und muss sie nicht mal selber legen, um später die Anerkennung für Heldentum zu bekommen).

Klarheit – Disziplin – Möglichkeiten

isso.

Christian